"Kritik" Hans-Peter Zimmermann

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Kritik an Ryke Geerd Hamer und seinen Jüngern
der Neuen Germanischen Medizin

Ryke Geerd Hamer, geboren 1935, ist im Juli 2017 verstorben. Für einige Zeitgenossen wäre das ein Grund, keine Kritik mehr an ihm zu üben. Das ist für mich völlig unverständlich, denn der Tod eines Menschen rechtfertigt doch nicht sein Handeln zu Lebzeiten, sonst dürften wir an keiner einzigen historischen Figur Kritik üben. Außerdem lautet der Titel ”Kritik an Ryke Geerd Hamer und seinen Jüngern”. Und von Letzteren gibt es einige, die noch am Leben sind.
Daher folgt hier mein Original-Aufsatz aus dem Jahr 2015:

Wenn eine simple Hypothese zum Credo wird…

Hans-Peter Zimmermanns subjektive Beurteilung der „Erkenntnisse“ Dr. Ryke Geerd Hamers

In letzter Zeit häufen sich die Zuschriften von Lesern, die mir voller Bewunderung ein Pamphlet über die Neue Germanische Medizin nach Dr. Hamer zuschicken. Interessanterweise handelt es sich durchs Band weg um medizinische Laien, die aber eines gemeinsam haben: Sie glauben, beurteilen zu können, dass Hamer Recht hat. Wenn ich sie dann frage, ob sie einen Fall persönlich erlebt hätten, wo Hamer einen Krebs nachhaltig zum Verschwinden gebracht habe, heißt es sinngemäß: „Nein, aber ich finde, seine Theorien machen Sinn.“ Und dann folgt eine Tirade gegen die etablierte Schulmedizin und ein Sammelsurium von abstrusen Verschwörungstheorien, in Einzelfällen auch Bemerkungen über die „von Juden beherrschte Schulmedizin“.

Wer meine Homepage ein wenig studiert hat, der weiß, dass ich offen bin für alternative Heilmethoden. Und ich bin absolut der Meinung „wer heilt, hat Recht“. Aber man beachte bitte, dass es heißt „wer HEILT, hat Recht“ und nicht „wer lauthals Heilung verspricht und alle Kollegen als Mörder bezeichnet“.
Aber beginnen wir doch einfach mal von vorn…

Die Ausgangslage

Dr. med. Ryke Geerd Hamer verlor im Dezember 1978 seinen Sohn Dirk. Dieser sei angeblich vom Kronprinzen von Savoyen im Schlaf erschossen worden. Ich schreibe „angeblich“, da ich die genauen Vorgänge nicht kenne und nicht beurteilen kann, inwiefern die Ungereimtheiten um diesen angeblichen Mord einer Verschwörung oder der von mir vermuteten paranoiden Persönlichkeit Hamers zuzuschreiben sind. Doch dazu wird sich der Leser noch ein eigenes Bild machen müssen. Bleiben wir zunächst bei den von Hamer persönlich dargelegten „Fakten“.

Im Jahr 1979 wurde bei Hamer Hodenkrebs diagnostiziert. Hamer war sofort überzeugt, dass dieser Krebs etwas mit dem Tod seines Sohnes zu tun haben müsse. In nächtlichen „Dialogen mit seinem toten Sohn“ stellte sich nach und nach heraus, dass Hamer nach seinen eigenen Worten „einen Markstein in der Medizingeschichte“ setzen sollte.

Im Zentrum stehen die „fünf biologischen Naturgesetze“ sowie die „Hamerschen Herde“, eine Art Läsionen im Gehirn, die gemäß Hamer auf einen Konflikt hindeuteten und aufgrund deren Lokalisation man voraussagen könne, wo sich im Körper ein Krebsgeschehen manifestieren werde. Dieser Konflikt müsse gelöst werden, damit der Krebs remittiere.

Hamers Vorgehen

Hamer hatte also aufgrund des Channellings mit seinem toten Sohn eine Vermutung. So weit, so gut. Jeder andere Wissenschaftler hätte sich jetzt um einen Forschungsauftrag bemüht, um diese These zu überprüfen. Und jeder andere Wissenschaftler wäre erst einmal bescheiden aufgetreten im vollen Bewusstsein, dass es sich zwar um eine interessante These, aber eben nur um eine These handelte.

Hamer wählte einen anderen Weg. Er verdammte erst einmal die gesamte bisherige schulmedizinische Forschung in Grund und Boden, bezeichnete sämtliche klassisch arbeitenden Onkologen als Mörder und verbot seinen Patienten, Chemo- oder Radiotherapie über sich ergehen zu lassen. Das Ganze gipfelte in der legendär gewordenen Geschichte der kleinen Olivia, die von den Behörden zwangs-chemotherapiert wurde, nachdem Olivias Eltern das Sorgerecht entzogen worden war. Ein behördliches Vorgehen, das – nebenbei gesagt – auch seinesgleichen sucht. Aber bleiben wir bei Hamer.

Dabei standen Hamers Forschungen, soweit ich das aufgrund seiner Informationen beurteilen kann, auf sehr wackligem Boden, wie er selbst unter www.neuemedizin.de/html/hamersche_herde.html schreibt:

Da ich kein eigenes CT-Gerät hatte, hatte ich auch nicht die Möglichkeit systematische Untersuchungen durchzuführen. Ich konnte halt nur das bekommen, „was von der Herren Tische fiel“, und das war nicht viel.

Nicht viel, dafür möglichst laut!

Es folgten erste Gerichtsprozesse gegen Hamer wegen unterlassener Hilfeleistung. Hamer verlor seine Approbation und verlieh seinem Unmut gegen das medizinische Establishment jetzt erst recht Ausdruck. Im Kielwasser von Jan van Helsings inzwischen verbotenen Verschwörungstheorie-Büchern fand die Verfolgung Hamers genügend Futter, und wenn ich heute die Pro-Hamer-Homepages studiere, werde ich den Verdacht nicht los, dass es hier längst um einen Glauben geht und nicht um die Prüfung einer interessanten medizinischen These. Hamer soll sich außerdem gegen die „jüdische Schulmedizin“ geäußert haben, was den Verschwörungs-Theoretikern, die oftmals antisemitisches Gedankengut pflegen, runtergeht wie Öl.

Aber Verschwörungen gab es doch immer schon! Warum nicht auch um Hamer?

Selbstverständlich sollte man als offener Geist prüfen, ob es nicht auch möglich ist, dass Tausende sich irren und Hamer tatsächlich als einziger Recht hat. Geschichtliche Beispiele gibt es zur Genüge: Die mittelalterlichen Astronomen, die wussten, dass die Erde sich um die Sonne dreht. Jesus, der wusste, dass er etwas Besonderes ist, und der sich vermutlich heute noch darüber wundert, dass seine Theorien 2000 Jahre überdauert haben. Und daneben viele Pioniere, die zum Teil in Vergessenheit geraten sind.

Allerdings werden solche Beispiele immer wieder von Scharlatanen herangezogen, um darüber hinweg zu täuschen, dass sie außer einer interessanten Theorie, einem riesigen Ego und einem Weltverbesserungs-Wahn nicht viel vorzuweisen haben.

Wer also soll beurteilen, ob Hamers Theorien stimmen? Hamer selbst ist vermutlich nicht bewusst, dass er mit seiner Schwarz-Weiß-Malerei seinen Theorien selbst den Todesstoß verpasst hat. Denn wenn Hamer Recht hätte, dann wären sämtliche Schulmediziner nach seinen eigenen Worten Mörder. Glaubt Hamer wirklich, dass er von schulmedizinischer Seite noch auf Unterstützung hoffen kann? Wenn er das glaubt, wäre das in meinen Augen der beste Hinweis darauf, dass er manische Züge hat.

Ist denn alles Quatsch, was Hamer sagt?

Wohlverstanden, wir sind hier im Bereich des Glaubens. Und ich kann nur sagen, was ich glaube, respektive was ich in den wenigen Fällen mit Krebspatienten erlebt habe. Was ich an den meisten Medienberichten über Hamer kritisiere, ist, dass sie den einseitigen Aussagen der Hamer-Anhänger fast immer genau so einseitige Aussagen von Schulmedizinern gegenüber stellen.
Es findet sich offenbar immer irgend ein simpler und sturer Schulmediziner, der bereit ist, seinen Kopf in die Röhre zu halten und zu verkünden, dass Krebs jeden treffen kann und dass wir dankbar sein dürfen für die gnädige Pharmaindustrie, die uns überleben hilft.
Dabei gibt es genügend ganzheitlich denkende Mediziner, selbst in höheren onkologischen Gremien, die Krebs heute sehr differenziert als multifaktorielles Geschehen betrachten, bei dem die Psyche eine nicht unwesentliche Rolle spielt.

Tatsache ist: Jeder überlebende Krebspatient, den ich kenne, hat nicht nur schulmedizinisch und naturheilkundlich alles unternommen, was ihm sinnvoll erschien, sondern betrachtete die Krankheit auch als einen fälligen Weckruf, das Leben so anzupacken, wie er es sich schon immer vorgestellt hatte. Denn letztendlich geht es uns Menschen ja ums Leben und nicht einfach nur ums Überleben.

Eine weitere Tatsache: Jeder Krebspatient, der sich bis jetzt an mich gewandt hat, hat auf die Frage, ob er einen Teil in sich habe, der sterben will, mit ja geantwortet und etliche Gründe angeführt, warum Sterben sehr bequem wäre. Es lohnt sich in so einem Fall nachzufragen, unter welchen Umständen der Patient denn wieder richtig Ja zum Leben sagen könnte. Dann ist es die Aufgabe des Therapeuten, ihm Möglichkeiten aufzuzeigen, wie er sein Leben so einrichten kann, dass es wieder lebenswert ist.

Anstelle eines Fazits

Ich finde es schade, dass Hamer es mit dem Fingerspitzengefühl eines Haudegens geschafft hat, dass sich kein Mediziner, der einen Ruf zu verlieren hat, ernsthaft mit seiner Theorie auseinandersetzen mag. Es hätte meiner Meinung nach anders kommen können: Hamer hätte ein paar gute und wohlhabende Leute dazu bringen können, ihm einen Computer-Tomographen und alles übrige nötige Forschungsmaterial zur Verfügung zu stellen. Das hätte allerdings bedingt, dass Hamer wissenschaftlich arbeitet und auch das Risiko eingeht, dass seine Theorie nicht verifiziert werden kann. Mit der Gründung seines „Hamer-Ordens“ (HPZs ironische Bezeichnung) ist er dieser Beweispflicht ein für allemal enthoben.

Hamer wollte, wie er schreibt, seinem Sohn Dirk ein Denkmal setzen. Das hat er getan. Ob es Dirk gefällt, steht auf einem anderen Blatt…

Aus: Mecker-Ecke von Hans-Peter Zimmermann (Sachbuch-Autor, Unternehmer-Coach, Ausbilder für Psychopathologie und Klinische Hypnose)